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Ein Bär in Bayern – herrenlos und rechtlos
Als vor Jahrzehnten in
Ostbayern eine Handvoll Wölfe auftauchte, erging ebenfalls eine behördliche
Abschussanordnung. Doch das Verwaltungsgericht Regensburg stoppte damals den
Vollzug auf Antrag des Bundes Naturschutz in Bayern, in dessen Eigentum die
Wölfe standen. Die Gefahrenlage reichte für die einschränkungslose Freigabe zum
Abschuss nicht aus. So hätten die Verwaltungsgerichte vermutlich auch im Fall
des Braunbären Bruno entschieden, wenn er vor Gericht gegangen wäre. Doch das
konnte er nicht, denn er war herrenlos und damit rechtlos, obwohl ihn die
geltenden Gesetze schützten: Bären stehen nicht in der Liste der in Bayern
jagdbaren Tiere. Für Bruno galten nicht die Jagdgesetze, sondern das
Tierschutzgesetz, dessen § 1 „das Tier als Mitgeschöpf“ (des Menschen) ansieht,
„dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen“ ist. Und weiter: „Niemand darf einem
Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“
Was wäre ein „vernünftiger Grund“ im Sinne des Gesetzes gewesen, der es
gerechtfertigt hätte, den Bären, der das Rotwandgebiet durchwanderte,
umzubringen? Dass er sich von Hühnern und Schafen ernährte, unterschied ihn kaum
von den Menschen, die ihn seit Wochen beäugten. Die Mehrzahl von ihnen verspeist
die selben Tiere – sie „reißt“ sie zwar nicht selbst, sondern lässt schlachten.
Was der Braunbär für seine Mahlzeiten nicht bezahlte, war durch
Schadensversicherungen abgedeckt. Insofern bestand also kein „vernünftiger
Grund“ zum Töten. Es bedurfte schon akuter Lebensgefahren für die menschlichen
Nahrungskonkurrenten Brunos, um – dann im Rahmen der Polizeigesetze –
einzuschreiten und zu töten.
Man kann die Sorge der Verantwortlichen, „dass eines Tages etwas passiert“,
durchaus verstehen. Doch nicht zu verstehen ist, dass der Minister und seine
Berater plötzlich außer Acht ließen, dass auch einem Bären gegenüber der
„Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ zu wahren ist: Es war keineswegs ein
Entgegenkommen, ihn zunächst nur betäuben zu wollen, sondern ein Gebot, sein
Leben nach Möglichkeit zu schonen, was ja im Lauf der Wochen auch immer leichter
wurde, als der Bär immer ungenierter über Landstraßen und durch Ortschaften
spazierte. Ihm einerseits vorzuwerfen, dass er nicht menschenscheu genug sei und
ihn andererseits abzuknallen, weil man ihn nicht betäuben konnte, passt schlecht
zusammen.
Der Schütze, der im Morgengrauen aus der Berghütte trat und den Bären erlegte,
handelte rechtswidrig. Er hat ein wunderbares Tier erschossen (nicht:
„geschossen“), ohne dass dies gerechtfertigt war, weil seit Tagen die
Möglichkeit bestand, den Bären vor ein Betäubungsgewehr zu bekommen. Doch diese
Möglichkeit wurde durch die Freigabe zum Abschuss, die nach dem Abzug der
finnischen Bärenfänger erfolgte, von vornherein ausgeschlossen. Auch das war
rechtswidrig. Der Tatbestand einer strafbaren Tiertötung gem.§ 17 des
Tierschutzgesetzes scheint erfüllt zu sein. Die Staatsanwaltschaft wird prüfen
müssen, ob einen der Verantwortlichen auch ein strafrechtlich relevantes
Verschulden trifft. Je weiter oben man hierbei sucht, umso mehr scheidet die
Berufung auf einen Verbotsirrtum aus. Was man von dort bisher zu hören bekam,
waren Beschwichtigungsversuche, die eher peinlich wirken: Die Menschen brächten
jetzt ihre Verbundenheit zur Natur und speziell zu dem Braunbären zum Ausdruck.
Das sei „ein gutes Signal für den Artenschutz“, so der Umweltminister. (SZ,
28.6.06) Fast schon borniert reagierte sein Staatssekretär: „In Zukunft werde
man die Bevölkerung von der Richtigkeit solcher Maßnahmen zu überzeugen
versuchen.“ (FAZ, 27.6.06) Bei Unbelehrbaren könnte im Rahmen der laufenden
Ermittlungsverfahren in der Tat der Staatsanwalt etwas nachhelfen.
Der Bär wäre nicht gestorben, wenn das Tierschutzgesetz den Tieren ein
Klagerecht einräumen würde, wahrzunehmen von anerkannten Verbänden, so wie es im
Naturschutzrecht seit langem praktiziert wird. Die schönsten Gesetze helfen
nichts, solange ihr Vollzug dem Ermessen (oder der Konfusion?) von Behörden und
Politikern überlassen bleibt. Der Braunbär spaziert nun durch die ewigen
Jagdgründe seiner Artgenossen und berichtet womöglich: „Ich wurde als
‚Problembär’ von der Bayerischen Staatsregierung erschossen.“ Vielleicht erfährt
er dann im Himmel der Tiere, dass diese Regierung noch immer auf die göttliche
Eingebung wartet, die ihr laut Ludwig Thoma von dem Münchner Dienstmann Alois
Hingerl schon vor 100 Jahren überbracht werden sollte.
Dr. Christian Sailer, Marktheidenfeld
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