I.
Einführung
In
Deutschland erscheinen nur mehr 7 % der Bevölkerung zum Sonntagsgottesdienst
der sogenannten Großkirchen. Formell gehören ihnen gegenwärtig
noch 66 % der Bürger an, von denen sie rund 17 Milliarden Mark Kirchensteuer
beziehen. Daneben erhalten sie jährlich weitere 11,5 Milliarden Mark
aus den Haushalten von Bund, Ländern und Gemeinden. Das kirchliche
Grundstücks- und Kapitalvermögen wird auf mehrere Hundert Milliarden
Mark geschätzt, das Kapital- und Anlagevermögen der Katholischen
Kirche auf 80 - 100 Milliarden Mark, mit jährlichen Kapitaleinkünften
in Höhe von rund 5 Milliarden Mark. Steuern bezahlen die Kirchen für
diese Zuflüsse keine; vielfach auch keine Gebühren und Kosten
für öffentlich-rechtliche Leistungen. Für öffentliche
Sozialeinrichtungen (Kindergärten, Altenheime, Krankenhäuser)
geben sie etwa 5 - 8 % ihrer Kirchensteuereinnahmen aus. Den Rest bezahlen
die privaten Nutzer, der Staat und die Krankenkassen.
Diese Daten werden gerne verschleiert. Soweit man ihrer habhaft wird,
erweist sich das "soziale Engagement" der Kirchen eher als frommes Märchen
und die Behauptung, ohne die kirchenfinanzierte Sozialarbeit breche das
bundesdeutsche Sozialsystem zusammen, als weniger fromme Erpressung. Daß
es auch mit der religiösen Resonanz der Kirchen nicht mehr weit her
ist, dokumentieren die leeren Kirchenbänke. Immer drängender
stellt sich deshalb die Frage, ob die milliardenschwere staatliche Finanzierung
einer Kirchenbürokratie ohne Gläubige und ohne angemessenen sozialen
Einsatz länger zu rechtfertigen ist. Diese Frage stellt sich nicht
nur einem "Sparpakete" schnürenden Finanzminister, sondern sie richtet
sich auch an die Verfassung.
II.
Die dreifach sprudelnde Geldquelle
Die verfassungsrechtliche Fragestellung setzt zunächst eine Differenzierung
der Hauptkategorien kirchlicher Einnahmen voraus.
1. Die altrechtlichen Staatsleistungen
Sie gehen auf die "Säkularisation" zurück. (...) Das Kirchengut
von Stiften, Abteien, Klöstern und Bistümern wurde den weltlichen
Fürsten übertragen. Diese wurden im Gegenzug verpflichtet, für
die "feste und bleibende Ausstattung der Domkirchen... und der Pensionen
für die aufgehobene Geistlichkeit zu sorgen". (...) Aus diesen ersten
Rechtsakten entwickelte sich die Anschauung, daß der Staat nicht
nur für die "Domkirchen" und die "Pensionen" der Geistlichkeit aufzukommen
habe, sondern einer allgemeinen Rechtspflicht unterliege, den Kirchen finanziell
unter die Arme zu greifen. Daraus wiederum entwickelte sich ein wahrer
Wildwuchs von finanziellen und naturalen Leistungen auf allen staatlichen
Ebenen für alle denkbaren kirchlichen Einrichtungen, von der Pfarrerbesoldung,
über Kirchenbaupflichten bis zur Lieferung von Holz und Getreide und
zur Stellung von Meßwein und Kerzen. Eine Gesamtübersicht über
die Vielfalt staatlicher und kommunaler Leistungen und deren wirtschaftlichen
Wert fehlt. Die Haushaltspläne von Bund und Ländern weisen diese
aus dem vorigen Jahrhundert stammenden Zuwendungen nicht gesonder aus.
Zum Teil wurden sie auch in Kirchenverträgen und Konkordaten pauschaliert.
(...)
2. Freiwillige Subventionierung
Von den altrechtlichen Leistungstiteln staatlicher Entschädigungen
für die vor 200 Jahren erfolgte Säkularisation sind die Zuwendungen
zu unterscheiden, die Bund, Länder und Gemeinden als Förderungsmaßnahmen
zugunsten der Kirchen und deren Einrichtungen in ihre Haushalte einstellen
- bspw. für die Militärseelsorge, für den Religionsunterricht
an öffentlichen Schulen, für theologische Lehrstühle u.ä.m.
(...) Dabei gehen die Finanzhilfen für säkulare öffentliche
Zwecke, wie Sozial- und Jugendhilfe, Erwachsenenbildung und Denkmalpflege
in die Finanzhilfen für den religiös kirchlichen Bereich fließend
ineinander über - etwa wenn Mittel des Landesjugendplans für
Jugendräume zu Pfarrheimbauten führen oder Ausgaben für
"Schule und Bildung" für Exerzitienhäuser, Diözesanseminare
und pastorale Ausbildungsstätten verbraucht werden. Genaue Zahlen
liegen auch hier nicht vor. (...)
3. Kirchensteuer
Sie basiert auf dem Grundgedanken der Selbstfinanzierung und wurde
ab Mitte des vergangenen Jahrhunderts in den deutschen Staaten eingeführt.
Es mag sein, daß man hoffte, den Staat damit von der für die
Säkularisation übernommenen Kompensation allmählich zu befreien.
Allerdings zog man daraus keine Konsequenzen: Durch die Einführung
der Kirchensteuer wurden die altrechtlichen Staatsleistungen nicht beseitigt,
sondern die Mitgliedschaftsteuer trat neben die staatlichen Leistungen,
die heute in etwa genauso hoch sind wie die Kirchensteuern. Um beides nebeneinander
zu rechtfertigen, greift man zur Idee des demokratischen Sozial- und Kulturstaats,
der die Gruppen seiner pluralen Gesellschaft in vielfältiger Weise
fördere, um ihre Freiheit zu sichern. (...)
Ein besonderer Förderungsimpuls besteht in der steuerlichen Abzugsfähigkeit
der Kirchensteuer. Sie kann als Sonderausgabe geltend gemacht werden, was
dem Staat Einbußen bei der Einkommensteuer in Höhe von mehreren
Milliarden jährlich bringt.
III.
Verfassungswidrigkeiten
1. Das Fehlen einer Bestandsaufnahme
Es dürfte mit einer ordnungsgemäßen, den Rechtsstaatsgeboten
der Verfassung entsprechenden Haushaltsführung kaum vereinbar sein,
daß der Staat Geld verteilt, ohne zu wissen, ob er es aus freiem
politischem Ermessen oder aufgrund einer Verpflichtung tut. Genau dies
scheint aber in der Grauzone zwischen altrechtlichen Staatsleistungen im
Sinne von Artikel 140 GG, 138 WRV und der heutigen Subventionierung kirchlicher
Aktivitäten und Einrichtungen der Fall zu sein. Das dürfte auch
für Finanzierungsbereiche gelten, in denen die Länder durch Kirchenverträge
eine pauschalierende Flurbereinigung schufen und damit - vielleicht - eine
Art Ablösung im Sinne von Art.138 I GG bewerkstelligten. Inwieweit
erfolgte hierbei lediglich eine Novation bestehender Verbindlichkeiten
und inwieweit wurden neue übernommen? Inwieweit steht eine zusätzliche
Ablösung dennoch aus? Erklärt sich der Staat zu finanziellen
Leistungen bereit, in der falschen Annahme, daß er dazu verpflichtet
sei, fehlt es möglicherweise an der Geschäftsgrundlage, je nachdem,
wie die Vorstellungen des Vertragspartners waren.
Ähnlich unhaltbar ist die Zugrundelegung altrechtlicher Leistungspflichten
ohne nachweisbare Rechtstitel konkreter Art. Vieles scheint hier im Nebel
unvordenklichem Herkommens zu liegen und allen Ernstes nach dem Grundsatz
"in dubio pro ecclesia" gehandhabt zu werden. Das mag der Ideologie einer
kirchenfreundlichen Jurisprudenz entsprechen; mit einem ordnungsgemäßen
Umgang mit Haushaltsmitteln ist es unvereinbar.
Alles in allem geht es nicht länger an, daß sich die milliardenschwere
Kirchenfinanzierung durch den Staat in einem aus dem vorigen Jahrhundert
stammenden Dschungel von tatsächlichen, vermuteten und möglichen
Verpflichtungen verliert und niemand genau weiß, wo die Grenze zwischen
Verbindlichkeiten und freiwilligen Dotationen verläuft. Eine umfassende
klärende Bestandsaufnahme von Bund, Ländern und Gemeinden ist
seit Jahrzehnten überfällig und hat, erforderlichenfalls auf
gesetzlicher Grundlage, mit Hilfe präziser Auskünfte der Kirchen
und ihrer Einrichtungen zu erfolgen.
2. Eine "ewige Rente"?
Bei den altrechtlichen Staatsleistungen, die meist zu Beginn des 19.
Jahrhunderts begründet wurden, stellt sich die Frage nach ihrem Rechtsgrund
im Jahr 2000 immer dringlicher.
2.1 Der Reichsdeputationshauptschluß selbst kommt hierfür
kaum in Betracht. Er ist bereits nach seinem Wortlaut lediglich ein Programm
oder eine Rahmenvorschrift, rechtsverbindlich zwar, aber ausfüllungsbedürftig
durch konkretisierende Rechtstitel. (...)
Soweit im Gefolge der Säkularisation konkrete staatliche Rechtsverbindlichkeiten
geschaffen wurden, stellt sich die weitere Frage, wieviele Jahrhunderte
sie wohl überdauern können. Wenn die causa der Säkularisationslasten
des Staates in der Entschädigung für entzogenes Kirchengut besteht,
dann erledigt sie sich in dem Zeitpunkt, in dem alles entschädigt
ist. Dieser Gefahr wollen manche Befürworter einer Art "ewigen Rente"
der Kirchen offenbar dadurch begegnen, daß sie zur Legitimation der
Ausgleichszahlungen neben der Säkularisation beiläufig auch die
Reformation erwähnen. Mit ernst zu nehmender Rechtsbegründung
haben historische Konstruktionen dieser Art nichts mehr zu tun. Die kirchlichen
Verluste im Zuge der Reformation sind noch weniger meßbar als die
der Säkularisation. Wer so tief in die Historie greift, provoziert
im übrigen die Gegenfrage nach der Art und Weise des kirchlichen Vermögenserwerbs.
Was so mancher Fürstbischof auf dem Kriegspfad oder im Zuge der Inquisition
"erwarb", kann kaum Gegenstand staatlicher Entschädigungspflichten
sein. Diese Beute ist nach Jahrhunderten freilich genauso wenig meßbar
wie der Wert des rechtmäßig erworbenen und säkularisierten
Kirchengutes. Mag es auch noch so "unermeßlich" sein: Im Laufe der
letzten 200 Jahre wurde es durch Millionen von Gulden und Milliarden von
Mark wohl mehrfach zurückbezahlt. (...)
Soweit altrechtliche Verpflichtungen des Staates gegenüber den
Kirchen nicht auf vertraglicher, sondern auf gesetzlicher Grundlage beruhen,
garantiert dies ebenfalls keinen Ewigkeitswert: Ein grundlegende Veränderung
der bei Begründung der staatlichen Verpflichtungen maßgeblichen
Tatsachen und deren Bewertung durch die Bevölkerung kann zu einem
Verfassungswandel mit normativen Konsequenzen führen.
Im Laufe von 150 bis 200 Jahren ist ein solcher Wandel, der bei Verträgen
zu einer Anpassungspflicht bzw. zur Kündigungsmöglichkeit i.S.v.
§ 60 VwVfG führt, kaum von der Hand zu weisen. Das Staatsvolk
ist nicht mehr identisch mit dem Kirchenvolk und die vom Staat ursprünglich
alimentierte Religionsausübung wird nur mehr von 7 - 8 % der Bevölkerung
praktiziert. Wenn der Staat aus dieser Veränderung der Geschäftsgrundlage
altrechtlicher Staatsleistungen keine Konsequenzen zieht, läuft er
inzwischen Gefahr, Steuergelder für nicht existente Verbindlichkeiten
zu verausgaben, was mit den Finanzverfassungen und Haushaltsordnungen von
Bund und Ländern unvereinbar ist.
2.2 Ein Rechtsgrund für solche Leistungen läßt sich
auch nicht aus Art.140 GG i.V.m.Art.138 Abs.1 WRV herleiten. Das darin
enthaltene Verfassungsgebot besagt lediglich, daß bestehende Staatsleistungen
abzulösen sind, selbstverständlich nur, soweit sie tatsächlich
bestehen. Die "List konservativer Vernunft", wonach die Nichterfüllung
der Ablösungspflicht dazu führe, daß die altrechtlichen
Verbindlichkeiten eingefroren werden - inzwischen seit 90 Jahren, womöglich
für weitere 100 Jahre - ist rechtsdogmatisch nicht haltbar. Was infolge
Wegfalls der ursprünglichen Geschäftsgrundlage im Laufe von Jahrhunderten
an kirchlichen Rechtspositionen weggebrochen ist, erhält durch ein
Ablösungsgebot, das die Auflösung der kirchlichen Umklammerung
des Staates zum Ziel hat, keine neue Rechtsgrundlage. (...)
3. Verfassungswidrige Konkordate und Kirchenverträge
Soweit es sich um die Neubegründung von Verbindlichkeiten handelt,
hängt über ihnen das Damoklesschwert der Art.140 GG/138 Abs.1
WRV. Wenn dort dem Staat geboten wird, Dauerschuldverhältnisse "abzulösen",
kann ihm nicht gleichzeitig erlaubt sein, neue Dauerschuldverhältnisse
einzugehen. Die herrschende "Ideologie-jurisprudenz" des Staatskirchenrechts
versucht diese logische Selbstverständlichkeit wegzuinterpretieren:
Die Weimarer Reichsverfassung habe nicht so wie bei der Abschaffung anderer
Rechtseinrichtungen (Adelsbezeichnungen, Staatskirche, Vorschulen) deutlich
gemacht, daß sie auch bei den Staatsleistungen das Institut als solches
liquidieren wollte. Dieser Einwand übersieht, daß man Vermögensrechte
nicht wie Adelsbezeichnungen und Vorschulen abschaffen kann, ohne eine
Enteignung zu vollziehen. Will man diese vermeiden, kann man eben nur von
"Ablösung" (und nicht von Abschaffung) sprechen. Das bedeutet "Abwicklung
der übernommenen Schuldenmasse", die eine Neubegründung von Dauerschuldverhältnissen
ausschließt.
3.1 Eine andere Frage ist es, inwieweit die Sperre des Art.138 Abs.1
WRV durchbrochen wird, wenn die Verfassung anderenorts gemeinsame Aufgaben
von Staat und Kirche vorsieht.
Zu nennen ist hierbei vor allem Art.7 Abs.3 Satz 1 GG, der den Religionsunterricht
in den öffentlichen Schulen als "ordentliches Lehrfach" gewährleistet.
So richtig es ist, daß daraus "die Verpflichtung des Staates folgt,
für den verfassungsrechtlichen Mindeststandard der Versorgung der
Schulen mit Religionsunterricht auch in finanzieller Hinsicht Sorge zu
tragen", so wenig selbstverständlich erscheint es, daß er damit
auch die vollen Personalkosten übernehmen muß, auch wenn der
Religionsunterricht durch kirchliche Lehrkräfte erbracht werden kann
bzw. erbracht wird. Dennoch geht die herrschende Lehre und Praxis ohne
weiteres davon aus. Unverkennbar bricht hier das alte Alimentationsdenken
durch, das der heutigen Verfassungslage jedoch nicht mehr entspricht. Die
Institutsgarantie des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen
ließe es durchaus zu, daß sich der Staat darauf beschränkt,
die Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen, während die
Kirchen die Religionslehrer schicken.
3.2 In einem nächsten Schritt soll die Verfassungsgarantie des
Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach dann auch noch "die staatliche
Vorsorge für geeignete Ausbildungsstätten zum Erwerb der Religionsfacultas
solcher Lehrkräfte" einschließen. Der Staat habe deshalb für
religionspädagogische Lehrstühle an pädagogischen Hochschulen
Sorge zu tragen, soweit das Lehrpersonal nicht an theologischen Fakultäten
ausgebildet wird. In Bayern entstanden auf diese Weise 21 sogenannte "Konkordatslehrstühle",
Professuren nicht theologischer Fächer außerhalb der theologischen
Fakultäten, deren Besetzung im Einvernehmen mit dem zuständigen
Diözesanbischof erfolgt, wenn "gegen deren Inhaber hinsichtlich ihres
katholisch-kirchlichen Standpunktes keine Erinnerung zu erheben ist" In
der Verfassung ist derartiges nicht vorgesehen, weshalb diese Verklammerung
staatlicher und kirchlicher Aufgaben auch Art.137 Abs.1 WRV widersprechen
dürfte, der die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen verbietet.
Bei den Konkordatslehrstühlen mag man sich damit beruhigen, daß
in den vorgesehenen Fächern im Rahmen des "katholisch-kirchlichen
Standpunktes" auch für die Studenten, die keine Religionslehrer werden
wollen, etwas abfällt; auf speziell kirchliche Bedürfnisse zugeschnitten
sind jedoch die theologischen Fakultäten, zu deren Unterhaltung sich
der Staat ebenfalls in Konkordaten und Kirchenverträgen verpflichtete,
ohne daß hierfür verfassungsrechtliche Grundlagen gegeben sind.
Art.149 Abs.3 WRV, der festlegte: "Die theologischen Fakultäten an
den Hochschulen bleiben erhalten", wurde vom Grundgesetz nicht übernommen.
Der allgemeine "Kulturstaatsauftrag", der nunmehr zur Legitimation theologischer
Lehrstühle herhalten soll, mag fallweise Ermessenszuwendungen rechtfertigen
- eine staatliche Dauerverpflichtung kann er im Angesicht des Verpflichtungsverbots
des Art.138 Abs.1 WRV keinesfalls legitimieren. Auch entsprechende landesverfassungsrechtliche
Gewährleistungen theologischer Fakultäten können diese bundesverfassungsrechtliche
Hürde nicht überwinden. Soweit in den Verträgen mit den
Kirchen nach Inkrafttreten des Grundgesetzes in diesem Bereich neue staatliche
Dauerverpflichtungen übernommen wurden, sind sie verfassungswidrig.
3.3 Ähnliches gilt für die Militärseelsorge. Der vom
Grundgesetz übernommene Artikel 141 WRV sieht lediglich vor, "die
Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen,
soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer besteht".
Wer glaubt, damit sei eben gemeint, daß die jeweils standortnächsten
Pfarrer auf Wunsch der Soldaten in der Kaserne einen Sonntagsgottesdienst
abhalten dürfen, hat den Einfallsreichtum kirchenfreundlicher Verfassungsinterpreten
gründlich unterschätzt: Aus Art.4 GG, so wird argumentiert, entspringe
die Notwendigkeit, unter den heutigen Bedingungen die Religionsfreiheit
des einzelnen Soldaten zu sichern. "Aufgaben und Organisation der heutigen
Militärseelsorge machen dies deutlich", heißt es. Mit dieser
"Argumentation", die das Ausübungs- und Abwehrrecht der Religionsfreiheit
ohne weiteres in ein Leistungsrecht uminterpretiert und dessen Umfang dann
auch noch tautologisch mit Hilfe der faktischen "Organisation der heutigen
Militärseelsorge" gleichsetzt, wird dem Staat die Befugnis eingeräumt,
Militärseelsorge nicht nur "zuzulassen", sondern "selbst in die Hand
zu nehmen". Der "Anspruch des Soldaten auf Seelsorge", den er ohne Zweifel
gegenüber seiner Kirche hat, wurde 1956 im Soldatengesetz gegenüber
dem Staat statuiert und darauf im Militärseelsorgevertrag von 1957
ein Militärkirchenwesen mit eigener Hierarchie von Militärbischof,
Militärgeneraldekan und Militärpfarrern im Amt des Staates und
vom Staat besoldet installiert. Daß dieser "späte Nachhall der
in Preußen bis 1811 bestehenden Militärkirche" mit dem in Art.137
Abs.1 enthaltenen Verbot einer Staatskirche unvereinbar ist, kostet die
herrschende Doktrin des Staatskirchenrechts nur eine Handbewegung: Dieser
Verfassungsartikel verbiete nicht, "die Zusammenarbeit von Staat und Kirche
bei gemeinsamen Angelegenheiten". Militärseelsorger, die den Bundesadler
als Dienstsiegel führen und ein Bischofsamt, dessen Inhaber in Personalunion
staatliche und kirchliche Herrschaft ausübt, sind jedoch typisch staatskirchliche
Rechtsformen, die auch mit dem Gebot der Nichtidentifikation des Staates
mit bestimmten Religionsgemeinschaften unvereinbar sind. Im übrigen
ist nicht zu übersehen, daß die "Totalidentifikation" des Staates
mit der kirchlichen Militärseelsorge ein religiöses Anliegen
aufgreift, das in sich widersprüchlich erscheint: Jesus von Nazareth,
auf den sich die beiden Großkirchen berufen, war bekanntlich ein
konsequenter Pazifist, der sich Militärpfarrer, die Kampftruppen segnen,
verbeten hätte. Bei allem verfassungsrechtlich gebotenen Respekt vor
dem Selbstverständnis einer Konfession können fundamentale Selbstwidersprüche
ihres Bekenntnisses jedenfalls dann nicht außer Acht gelassen werden,
wenn daraus Ansprüche an die Rechtsgemeinschaft abgeleitet werden,
die nur akzeptabel sind, wenn sie schlüssig sind.
3.4 Die aufgezeigten verfassungsrechtlichen Grenzen bleiben für
die bestehenden Kirchenverträge und Konkordate nicht ohne Konsequenzen.
Soweit darin Verpflichtungen enthalten sind, die bereits vor 1919 begründet
wurden, sind sie verfassungsrechtlich unbedenklich. Soweit (zusätzliche)
Staatsleistungen während der Weimarer Republik übernommen wurden,
sind sie im Rahmen des Art. 138 Abs.1 WRV i.V.m. den sich aus der Weimarer
Reichsverfassung möglicherweise ergebenden Ausnahmen vom Ablösungsverbot
verfassungsgemäß. Soweit der Staat nach dem 23.5.1949 weitere
Dauerverpflichtungen gegenüber den Kirchen übernommen hat, begegnen
sie der Sperre der Art.140 GG/138 Abs.1 WRV, die nur durch im Grundgesetz
selbst zugelassene Ausnahmen durchbrochen werden könnte. (...)
4. Subventionierung ohne Gesetz?
Unbewältigte verfassungsrechtliche Probleme ergeben sich des weiteren
bei den Ermessenszuwendungen der öffentlichen Hand an die Kirchen.
Gefördert wird so gut wie alles, was es an kirchlichen Einrichtungen
und Veranstaltungen gibt - von Kirchentagen, Akademien und Erwachsenenbildung
über Kindergärten, Jugend- und Altenhilfe bis hin zu Krankenhäusern
und den Sozialeinrichtungen von Caritas und Diakonie. Genügen hierfür
bloße Haushaltsansätze, die noch dazu meist in Positionen verpackt
sind, aus denen die einzelnen Zuwendungen für kirchliche Zwecke nicht
transparent werden? Oder greift angesichts der Größenordnung
der Subventionierung, die zu einer weltanschaulichen und gesellschaftlichen
Präponderanz der kirchlichen Aktivitäten führt, der Parlaments-
bzw. Gesetzesvorbehalt so daß ein eigenes Gesetz erforderlich ist,
das sich mit der Subventionierung kirchlicher oder besser allgemein: konfessionell
gebundener Einrichtungen befaßt? (...)
. Dabei sind die jeweiligen verfassungsrechtlichen Kautelen zu berücksichtigen.
Die erste besteht darin, daß von Verfassungs wegen alle Religionsgesellschaften
gleichberechtigt sind. Das Wort "Kirche" kommt nur in Verbindung mit der
Feststellung vor, daß "keine Staatskirche" bestehe (Art.140 i.V.m.Art.137
Abs.1 WRV). Das bedeutet zunächst, daß sozial-caritative oder
pädagogische Aktivitäten privater Träger, gleich welcher
Weltanschauung oder Religion, grundsätzlich nicht weniger förderungswürdig
sind als vergleichbare kirchliche Aktivitäten. Ob und in welchem Umfang
der Staat Jugendeinrichtungen oder Altenheime subventioniert, kann sich
nur anhand des sozialen Bedarfs und nicht der Konfession entscheiden. Das
Paradebeispiel für gleichheitswidrige Schieflagen bildet die Privatschulförderung,
bei der die privaten Träger schlechter gestellt sind, als katholische
oder evangelische Schulträger. Der Hinweis, daß Konkordate und
Kirchenverträge eine Besserstellung vorsähen, verfängt gegenüber
dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot ebensowenig wie der Versuch,
die Ungleichbehandlung mit Art.7 Abs.5 GG zu rechtfertigen. Auch "der Gedanke,
das Vertrauen der konfessionellen und weltanschaulichen Träger in
die bisherige Förderungspraxis nicht zu enttäuschen", ist kein
tragfähiger Gesichtspunkt, die nichtkirchlichen Privatschulträger
schlechter zu stellen.
Selbstverständlich muß der Staat auch bei der finanziellen
Förderung rein religiöser Veranstaltungen Gleichheit walten lassen.
Damit ist es beispielsweise nicht vereinbar, daß aus den Steuergeldern
aller Bürger Papstbesuche und Kirchentage subventioniert werden, während
man privaten Religionsgemeinschaften für ihre Treffen nicht einmal
öffentliche Räumlichkeiten zur Verfügung stellt, geschweige
denn für internationale Großveranstaltungen auch nur bescheidene
Beihilfen gewährt. (...)
IV.
Zusammenfassung
Die staatliche Finanzierung der sog. Großkirchen erfolgt durch
altrechtliche Leistungen, neue vertragliche Verpflichtungen und Ermessenszuwendungen.
Altrechtliche und neue Verpflichtungen gehen ineinander über und verlieren
sich z.T. in einem unüberschaubaren Gestrüpp von echten Verbindlichkeiten
und freiwilligen Dotationen, die weit in die Geschichte zurückreichen.
Eine umfassende Bestandsaufnahme in Bund, Ländern und Kommunen ist
unerläßlich, um Klarheit zu erhalten, wieviel die öffentliche
Hand aus welchen Rechtsgründen für welche kirchlichen Einrichtungen
jährlich bezahlt.
Die altrechtlichen Verpflichtungen können nicht Jahrhunderte überdauern,
ohne unter dem Gesichtspunkt der clausula rebus sic stantibus überprüft
zu werden. Art. 140 GG, 138 Abs.1 WRV enthält nicht die Garantie "ewiger"
Kirchenrenten. Die darin enthaltene Ablösungspflicht verbietet die
Eingehung neuer Dauerverpflichtungen des Staates gegenüber den Kirchen,
soweit sie die Verfassung nicht erkennbar zuläßt. Die Institutsgarantie
des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen in Art.7 Abs.3 GG
öffnet die Sperre des Art.138 Abs.1 WRV nicht für die Alimentation
von Lehrkräften an Schulen und Hochschulen; und Art 141 WRV rechtfertigt
nicht eine Militärseelsorge im Sinne der heutigen Militärkirche.
Im Angesicht der verfassungsrechtlichen Sperre des Art.138 Abs.1 WRV sind
die vorhandenen Konkordate und Kirchenverträge in Teilen nichtig.
Für die Ermessenszuwendung der öffentlichen Hand der Kirchen
reichen die Haushaltsgesetze nicht aus; der Parlamentsvorbehalt und die
grundrechtsrelevanten Folgen für andere Religionsgemeinschaften erfordern
Subventionsgesetze. Dabei sind die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen
des Neutralitätsgebots, der Art.3 Abs.3, Art.4 und Art.14 GG zu beachten,
was bei bereits existierenden Förderungsgesetzen bspw. im Privatschulbereich
nicht hinreichend geschah. Für die Förderung ausschließlich
religiöser Aktivitäten ist im säkularen Staat des Grundgesetzes
überhaupt kein Raum.