Dr. jur. Christian Sailer

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Rechtsanwalt
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Vortrag


Ethische und rechtliche Aspekte für einen

effektiven Tierschutz


Gehalten in der Universität von Barcelona am 8.11.2002 anläßlich der Internationalenn Konferenz für den rechtlichen Tierschutz in Spanien.

Noch nie hat der Mensch so vielen Tieren so viel Leid zugefügt, wie in unseren Tagen - in den Massentierställen, in denen die Opfer der modernen Fleischindustrie auf so engem Raum zusammengepfercht sind, dass sie sich aus Angst und Aggression gegenseitig angreifen, - auf den Tiertransporten quer durch Europa, auf denen die lebende Ware barbarisch geschunden wird, - in den Schlachthäusern, in denen unzureichend betäubte Tiere während der Schlachtung wieder zu Bewusstsein kommen und unter unendlichen Qualen sterben. Ganz zu schweigen von den speziellen Torturen, denen Tiere in den Labors der Wissenschaft unterzogen werden – weltweit 300 Millionen Tiere pro Jahr.


All dies geschieht in Ländern, die als Fundament ihrer Rechtsordnung Ethik und Moral für sich in Anspruch nehmen und sich den Menschenrechten und der Humanität verpflichtet fühlen. Wenn die Menschheit ein neues Verhältnis zu Natur und Tieren gewinnen will, müssen wir uns zunächst fragen, wie es zur heutigen Geringschätzung der Tiere und ihrer Misshandlung durch den Menschen kam.


Der ethische Grundansatz, der das Verhältnis des Menschen zur Natur und Tieren bestimmt, resultiert aus dem anthropozentrischen Weltbild des jüdisch-christlichen Denkens. Wie bedrohlich sich dies für den Rest der irdischen Lebewesen auswirkt, verkündet das 1. Buch Mose in einer grausamen Botschaft: "Furcht und Schrecken komme über alle Tiere auf Erden und über alle Vögel unter dem Himmel... In die Hände des Menschen sei alles gegeben. Alles, was sich regt und lebt, sei seine Speise." Angeblich soll Gott das gesagt haben, doch wir wissen inzwischen wie die Bibel zustandekam – nicht als unmittelbare göttliche Inspiration, sondern im Laufe von Jahrhunderten, in denen allzu menschliche Vorstellungen in das so genannte Heilige Buch Eingang fanden.


Eine kurze Wende zugunsten der Tiere trat bei den frühen Christen ein: Viele von ihnen scheinen vegetarisch gelebt zu haben. Schließlich hat der Lehrer der Friedfertigkeit aus Nazareth davor gewarnt, zum Schwert zu greifen. Er hat das Schlachtmesser von dieser Warnung nicht ausgenommen. Doch all das wurde schnell vergessen, als das Christentum unter Kaiser Konstantin an die Macht kam und später zur Staatsreligion wurde. Wer sich weigerte, Tiere zu töten, um sie zu verzehren, wurde genauso verfolgt wie Christen, die sich weigerten, zur Waffe zu greifen. Für die sich in den folgenden Jahrhunderten herausbildende Amtskirche war der Mensch die Krone der Schöpfung, der Natur und Tiere zu dienen hatten. Die Tierliebe eines Franz von Assisi blieb Episode. Nach Thomas von Aquin haben die Tiere keine Seele. Diese religiös-weltanschaulichen Prämissen besiegelten das elende Schicksal der Tiere für rund 2000 Jahre.


Von Seiten der Philosophie kam keine Hilfe. Im Gegenteil: Im 17. Jahrhundert lehrte ein Francis Bacon, die Natur "gefügig und zur Sklavin zu machen", sie "auf die Folter zu spannen, bis sie ihre Geheimnisse preisgibt". Und René Descartes spitzte die auf den Menschen zentrierte Weltbetrachtung noch zu mit seinem berühmten "cogito ergo sum", der Geist reduziert sich auf das Gehirn des Menschen und der Rest der Welt ist tote Materie. Ein Tier war für ihn nichts anderes als ein Automat. Die Schmerzensschreie von Tieren waren nichts anderes als das Quietschen von Maschinen.


Dieses mechanistische Weltbild feiert in der Folgezeit im Verein mit der aufkommenden Naturwissenschaft seine großen Triumpfe, aber verlor das Leben, die Seele und den Geist aus den Augen. Geist und Leben waren keine eigenständigen Größen mehr, sondern Resultanten chemischer Verbindungen und physikalischer Prozesse.


Diese Denkweise beherrscht uns heute noch beim Umgang mit Natur und Tieren. Wir behandeln sie als Ware, die uns zu beliebiger Verfügung steht – die Tropenwälder als Holzreserven, die Meere als Müllkippen, die Tiere als Fleischprodukte zur Befriedigung unserer hemmungslosen Fleischsucht oder als Lustobjekte blutiger Inszenierungen in der Stierkampfarena oder als Folteropfer wissenschaftlicher Experimente. Der moderne Mensch, der seine Mitgeschöpfe so würdelos behandelt, merkt gar nicht mehr, dass er damit gegen seine eigene Würde verstößt. Doch die Folgen des unmenschlichen Terror-Regimes werden jetzt sichtbar. Die Krone der Schöpfung wurde zum Schädling für alle übrigen Lebensformen. Die Gewalttätigkeit des Menschen gegenüber seinen Mitgeschöpfen schlägt zurück auf ihn selbst – durch Terror und Krieg, durch Naturkatastrophen, Plagen und Seuchen jeglicher Art. Solange wir diese Zusammenhänge des heraufziehenden Unheils nicht erkennen, sondern von zufälligen Ereignissen sprechen, ist uns nicht zu helfen. Vielleicht hilft uns ein Blick in das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes von Patmos, nach der die geschichtliche Zeit dieser Zivilisation apokalyptisch endet. Die Vorzeichen einer solchen Wende sind nicht zu übersehen.


Deshalb geht es nicht mehr bloß um ein paar Korrekturen - weniger Waldrodungen, nachhaltigere Energienutzung, ökologischen Landbau mit etwas weniger Qualen der Tiere. Nein: Es geht um einen fundamentalen Wandel unserer Einstellung zu Natur und Tieren, um den Abschied von jener heillosen Tradition kirchlicher und philosophischer Lehren, die die Einheit des Lebens zerstückelt und alles getrennt haben, was zusammen gehört: Es gibt kein unbeseeltes Leben; der Geist existiert nicht nur in menschlichen Gehirnzellen; auch Pflanzen haben Empfindungen; Tiere verspüren Freude und Leid, Wohlbefinden und Schmerzen. Es gibt eine Einheit alles Lebendigen, ja sogar eine Einheit allen Seins. Ein solches Weltbild ist nicht nur Träumerei, sondern bereits Gegenstand der modernen Physik, genauer der Quantenphysik. Sie hat das Weltbild des Materialismus längst überwunden. Max Planck vermutete hinter aller Materie die Energieform eines bewussten und intelligenten Geistes als Urgrund allen Seins. In der Biologie kommt es zu einer "Wiedergeburt der Natur", wie ein Buchtitel Rupert Sheldrake's lautet. Auch die Gaia-Vision eines James Lovelock gehört hierher: Die Erde als lebendiger Organismus.


Und nicht zuletzt: Auch religiös weht in mancher Hinsicht ein neuer Geist – über alle konfessionelle Enge hinweg sei es bei charismatischen Bewegungen innerhalb der Kirche, sei es bei religiösen Bewegungen außerhalb der Kirche, wie z.B. einer einer Gemeinschaft wie den Urchristen im Universellen Leben, die davon ausgeht, dass sich Gott in unserer Zeit erneut durch Prophetenmund offenbart und neue Einsichten in die Zusammenhänge des Lebens gab, die sich in mancher Hinsicht mit dem treffen, was die Quantenphysiker berichten: Dass der Allgeist alles durchwirkt und dass in allem die Essenz des Alls enthalten ist: In jedem Atom, in jedem Molekül, in jeder Pflanze, in jedem Tier und selbstverständlich auch in jedem Menschen. Es ist ein und derselbe Atem, der Mensch und Tier durchströmt, der Odem Gottes.


Solch' neue Denkweisen verlangen, dass wir nicht nur ethisch, sondern auch rechtlich mit dem Tierschutz endlich ernst machen.


Eine der wichtigsten Forderungen wäre hierfür: Nehmt den Tierschutz in die gegenwärtig entstehende Europäische Verfassung auf und schafft auf nationaler Ebene für die Tiere grundrechtsähnliche Rechte auf Beachtung ihrer Würde und auf ein artgerechtes Leben. Dann wird es endlich zur Verfassungsfrage, ob es weiterhin möglich ist, Millionen von Hühnern in Käfige einzusperren, in denen sie sich gegenseitig blutig hacken, sodass man ihnen die Schnäbel abbrennt und die Zehen abschneidet, damit sie überhaupt überleben können. Dann wird es endlich zu einer ernsthaften Rechtsfrage, ob es weiterhin möglich ist, Schweinen die Zähne auszubrechen oder die Schwänze abzuschneiden, Hühner zu mästen, bis sie umfallen und ihre Knochen brechen.


Die Eier- und Fleischproduzenten werden gegen ein Grundrecht der Tiere auf Beachtung ihrer Würde Sturm laufen, nachdem es einer verfehlten Landwirtschaftspolitik in den letzten Jahrzehnten gelungen ist, bäuerliche Klein- und Mittelstandsbetriebe zu vertreiben und durch Agrarfabriken zu ersetzen. Doch: Wollen wir uns ein für allemal dem Diktat einer industrialisierten Fleischproduktion beugen oder wollen wir aus dieser Sackgasse endlich wieder herauskommen, nicht nur um unserer Gesundheit willen, sondern auch aus Respekt vor dem Leben der Tiere? Nicht über Nacht und unter Inkaufnahme des wirtschaftlichen Zusammenbruchs einer arbeitsplatzträchtigen Branche, sondern durch einen allmählichen Übergang in einen friedfertigen Umgang mit unseren Mitgeschöpfen.


Das gilt auch für das fundamentale Recht der Tiere auf Leben. Solange unsere Gesellschaft noch weitgehend auf Fleischgenuss fixiert ist, ist dieses Grundrecht der Tiere nur schrittweise realisierbar und deshalb nur unter dem Vorbehalt näherer gesetzlicher Regelungen zu verankern. Ein solches Grundrecht würde zunächst jedenfalls die Überproduktion von Schlachttieren verbieten, die anschließend wieder zu Vernichtungsaktionen führt. Sodann müsste zur allmählichen Umsetzung des Lebensschutzes zugunsten der Tiere eine Umprogrammierung unserer Eßgewohnheiten stattfinden. Wenn wir unseren Kindern, die nicht selten eine natürliche Abneigung gegen Fleischnahrung haben, nicht länger einreden "Ihr müsst Fleisch essen, damit aus euch etwas wird.", reduziert sich der Fleischverbrauch in der nachwachsenden Generation von selbst. Wenn wir die Gastronomie verpflichten, auf ihren Speisekarten zur Hälfte vegetarische Gerichte anzubieten, dann ändert sich allmählich unsere Esskultur.


Schließlich ist noch ein wichtiger Punkt zu beachten: Die schönsten rechtlichen Bestimmungen zugunsten des Tierschutzes nutzen den Tieren nichts, wenn ihre Beachtung nicht vor Gericht erzwungen werden kann. Deshalb muss es möglich werden, dass Tierschutzverbände im Namen der Tiere den behördlichen Vollzug der Tierschutzbestimmungen vor Gericht einklagen können.


Das sind nur einige rechtliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen, in denen man den ethischen Postulaten des Tierschutzes zur allmählichen praktischen Umsetzung verhelfen könnte. Manchem mag dies heute noch utopisch erscheinen, doch die Zeit scheint für einen solchen Evolutionsschritt reif. Es geht nicht nur um eine Agrarwende, sondern um eine Kulturwende. Das Auftreten von Rinderseuche und Schweinepest sind Menetekel an der Wand. Allzu lange haben wir aufgrund der biblischen Geringschätzung der Tiere anders lautende Stimmen der abendländischen Geistesgeschichte verdrängt: Z.B. die Stimme eines Pythagoras, des Begründers der griechischen Philosophie, der seine Zeitgenossen ermahnte, "eine zarte Pflanze oder ein unschuldiges Tier nicht zu verletzen". Oder die Worte des griechischen Gelehrten Plutarch, der sinngemäß sagte: "Jede Mahlzeit ist kostspielig, für die ein anderes Lebewesen sterben muss.". Besonders deutlich äußerte sich das abendländische Universalgenie Leonardo da Vinci: "Es wird die Zeit kommen, in welcher wir das Essen von Tieren ebenso verurteilen, wie wir heute den Kannibalismus verurteilen.".


Damit bin ich wieder an einer Nahtstelle zwischen Jurisprudenz, Ethik und persönlichem Bekenntnis, das man teilen mag oder nicht. Die anthropozentrische Ethik des kirchlichen Christentums führte uns in die Irre. Deshalb knüpfen immer mehr Menschen wieder unmittelbar an urchristliches Gedankengut an, wie es Jesus von Nazareth vor 2000 Jahren lehrte. Sein Geist weht auch durch einen Text aus unseren Tagen, vermittelt durch das prophetische Wort für die Jetztzeit, mit dem ich schließen möchte: "Die Stunde ist nah herbeigekommen, in der jeder Rechenschaft ablegen muss für das, was er den Menschen, der Natur und den Tieren angetan hat. Die Neue Zeit dämmert empor, in welcher die blutigen Opfer und die Tierversuche aufhören werden und auch das Schlachten und Verzehren von Tieren, denn diese sind die Übernächsten der Menschen. Die Erde reinigt sich von allem Niederen. An die Stelle des Gegensätzlichen tritt das Höhere Leben, in dem mehr und mehr Gottes Wille erfüllt wird.".